Mittwoch, Oktober 24, 2007

Inszenierung von Aufmerksamkeit

Inszenierung von Aufmerksamkeit

Florian Rötzer
Inszenierung von Aufmerksamkeitsfallen
Ästhetik in der Informationsgesellschaft

Seit einiger Zeit geht als Alternative zur lnformations oder Wissensgesellschaft die Rede von der Aufmerksamkeitsökonomie als Fundament für die Strukturen der auf Medien und vor allem auf den digitalen Meien sich entwickelnden Gesellschaftsform um. Der Sachverhalt ist dabei weitgehend eingängig, die Interpretationen jedoch unterscheiden sich schnell. So thematisieren zwar die beiden Hauptvertreter einer Aufmerksamkeitsökonomie, Michael Goldhaber und Georg Franck, vorwiegend die Bedeutung der Prominenz als akkumulierte Aufmerksamkeit und die Bedeutung der Medien im Kampf um die Aufmerksamkeit, aber von beiden wird die Kehrseite der für den Betreffenden meist positiven Aufmerksamkeitsakkumulation vernachlässigt: die Überwachung, mithin die unerwünschte Aufmerksamkeit, die gleichfalls durch die digitalen Medien immer einfacher erfolgen kann. Globale Lauschsysteme wie ECHELON vom amerikanischen Geheimdienst, intelligente Videokamerasysteme, die Menschen identifizieren, verfolgen und sogar Verhaltensweisen deuten können, oder Überwachungssatelliten, die hoch aufgelöste Bilder von allen Orten der Welt liefern, sind dafür nur die deutlichsten Zeichen, während auf der privatwirtschaftlichen Ebene die Sammlung und Auswertung von persönlichen Daten immer wichtiger wird. Auf der einen Seite mag es zu viele Informationen geben und sucht man nach Filtern und anderen Selektionsmitteln wie virtuellen Agenten, die dem Menschen einen Teil der Aufmerksamkeitsarbeit abnehmen, auf der anderen wächst der Bedarf, immer weitere Informationen erzeugen und erheben zu können. Das ist ein durchaus ambivalenter Prozess, den man vielleicht auch die Dialektik der Aufmerksainkeitsökonoimie nennen könnte. Beansprucht wird Aufmerksanikeit heute freilich nicht nur in der Medienwelt, sondern auch in der urbanen Lebenswelt, bei der Steuerung der Fortbewegungsmittel und ganz allgemein in der Arbeitswelt, in der die Menschen zunehmend mehr mit Medien arbeiten, und etwa Informationen, also Aufmerksamkeitspakete, zu erstellen, oder komplexe Strukturen oder Maschinen zu steuern.

aus: „Ressource Aufmerksamkeit. Ästhetik in der Informationsgesellschaft.“ „Inszenierung von Aufmerksamkeitsfallen.“ Erster Absatz. Florian Rötzer. Kunstforum, B.148, Dezember 1999 - Januar 2000